13

In diesem Augenblick hatte Renee das Gefühl, jeder Knochen ihres Körper würde vor Erleichterung schmelzen. Sie hatte so sehr gehofft, dass John an ihre Unschuld glaubte er musste an ihre Unschuld glauben -, aber was er gerade gesagt hatte, bedeutete viel mehr. Es bedeutete, dass sie plötzlich nicht mehr allein war.

Auch wenn sie sich ein solches Eingeständnis von ihm gewünscht hatte - sie erkannte genau, dass es ihn übermenschliche Kraft gekostet hatte.

Er setzte sich auf die Bettkante und starrte auf seine Hände. Seine Schultern hingen schlaff herab, sein Gesicht war verhärmt, und zum ersten Mal sah sie, dass er keineswegs der Superpolizist war. Er war einfach nur ein Mensch - ein Mensch, der vor einer Reihe sehr schwieriger Entscheidungen stand.

»Was wird jetzt geschehen?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht.«

Es folgte ein längeres Schweigen. Schließlich fuhr sich John mit einer Hand über das Gesicht, dann drehte er sich zu ihr herum.

»Ich habe mit der Besitzerin des ausgeraubten Supermarkts gesprochen. Mit dieser Augenzeugin kann man keinen Fall gewinnen. Sie sieht kaum noch ihre eigene Hand vor Augen. Selbst der unfähigste Verteidigungsanwalt wird in null Komma nichts ihre Unglaubwürdigkeit erkennen.«

Renee richtete sich auf. »Das ist ja wunderbar!«

»Mach dir keine zu großen Hoffnungen. Das beweist nicht, dass du es nicht getan hast. Das bedeutet nur, dass die Zeugin dich nicht eindeutig identifizieren kann. Angesichts der handfesten Beweise hat das nicht allzu viel zu bedeuten.«

»Aber es ist immerhin etwas, nicht wahr?«

»Etwas ... ja. Und du hattest Recht mit deiner Vermutung bezüglich der Damen in Nummer 317. Es sind Nutten. Aber ihr Geschäft ist sehr lukrativ, so dass wir sie wahrscheinlich als Verdächtige ausschließen müssen. Ein weiterer Minuspunkt ist die Tatsache, dass der Polizist, der den Fall bearbeitet hat, in Ruhestand gegangen ist. Der Typ, der jetzt dafür zuständig ist, ist eine Null. Von den offiziellen Stellen haben wir also keinerlei Unterstützung zu erwarten. Sie haben ihren Verdächtigen und werden nicht nach einem anderen suchen.«

»Das alles hast du wirklich überprüft?«

»Ja.«

Renee war sprachlos. Also war er deshalb den ganzen Vormittag unterwegs gewesen. Während sie an sein Bett gefesselt war, hatte er eigene Ermittlungen angestellt.

»Hältst du es für möglich, dass wir den wahren Schuldigen finden?«, fragte sie.

John schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein ... nein.«

»Aber das wäre die einzige Möglichkeit, wie wir ...«

»Nein. Wir müssen gar nicht unbedingt die Person ausfindig machen, die den Überfall begangen hat. Wir müssen nur genügend Beweise zusammensuchen, damit die Geschworenen begründete Zweifel an deiner Schuld haben. Wenn wir das schaffen, wirst du freigesprochen.«

»Und wenn ich nicht freigesprochen werde ...«

»Landest du im Gefängnis.«

Gefängnis. Schon das Wort bereitete Renee Magenschmerzen. »John. Bitte hör mir zu. Bitte. Ich kann nicht ins Gefängnis gehen. Wenn auch nur die leiseste Möglichkeit besteht ...«

»Wir können nur hoffen, ein oder zwei Indizienbeweise zu finden. Du sagst, du hättest Steve in jener Nacht nicht zum richtigen Zeitpunkt getroffen, um daraus ein Alibi zu machen, aber so groß ist der zeitliche Abstand auch nicht, so dass die Geschworenen vielleicht ins Grübeln kommen. Die Augenzeugin lässt sich problemlos diskreditieren. Ein guter Verteidiger kann diese Umstände benutzen, um begründete Zweifel an deiner Schuld geltend zu machen.«

Sich auf Gedeih und Verderb der Gnade des Gerichts auszuliefern, war so ziemlich das Schrecklichste, was Renee sich vorstellen konnte. Aber irgendwie kam es ihr gar nicht mehr so hoffnungslos vor, wenn John neben ihr saß. Und vor allem, seit sie wusste, dass er auf eigene Faust in dieser Sache ermittelt hatte, obwohl es einfacher für ihn gewesen wäre, sie bei seinen Kollegen abzuliefern.

Was Sandy über ihn gesagt hatte, war richtig. Goldrichtig.

»Aber ich muss dich warnen, Renee. Die Sache könnte trotzdem schlimm für dich ausgehen, selbst wenn ich mir noch so große Mühe gebe.«

Er erklärte nicht, was er mit schlimm meinte. Aber das musste er auch gar nicht. Wenn er keine hinreichenden Beweise für ihre Unschuld fand, konnte sie trotzdem verurteilt werden. Und da sie immer noch gefesselt war, obwohl er an ihre Unschuld glaubte, würde zwangsläufig irgendwann der Tag kommen, wo er sie Justitias Händen übergab, damit das Gericht entschied, was mit ihr geschehen sollte. Der einzige Lichtblick war, dass dieser Tag noch nicht gekommen war, zumindest nicht heute.

Dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Er hatte gesagt, dass er an ihre Unschuld glaubte, auch wenn er keine Beweise hatte, die diese Vermutung stützten. Aber was war, wenn er auf Hinweise stieß, die gegen sie sprachen? Wie würde er dann zu ihr stehen?

Im Wald hatte er sie gefragt, ob sie vorbestraft war, und sie hatte mit Nein geantwortet.

Was war, wenn er von ihren Jugendstrafen erfuhr? Wäre ihm bewusst, dass sie inzwischen zu einem ganz anderen Menschen geworden war? Dass die erwachsene Frau, in die sie sich verwandelt hatte, nicht einmal ein Stück Kaugummipapier auf den Bürgersteig werfen würde? Dass ihr die Erinnerung an das dumme Mädchen, das sie einmal gewesen war, so große Schmerzen bereitete, dass sie gar nicht mehr daran denken wollte?

Nein. Sie durfte es nicht riskieren, ihm davon zu erzählen. Die Akten wurden unter Verschluss gehalten, und sie durften in einem Verfahren nicht als Beweis herangezogen werden. Er würde niemals davon erfahren.

Andererseits war es gar nicht das Verfahren, das ihr die meisten Sorgen machte.

Leandro hatte von ihren Jugendstrafen gewusst, weil irgendein Polizist den Mund aufgemacht hatte. Wie wahrscheinlich war es, dass John ebenfalls davon erfuhr? Wenn er irgendwann feststellte, dass sie ihn angelogen hatte ganz gleich, in welcher Hinsicht -, würde er ihr nie wieder auch nur ein einziges Wort glauben.

»John?«

Er sah sie an.

»Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«

Sie stellte erstaunt fest, dass ihre Hände zitterten. Sie schloss einen Moment lang die Augen und versuchte, sich einigermaßen zu fassen. »Als wir durch den Wald gingen, habe ich dir gesagt, dass ich nicht vorbestraft bin ...«

Seine Augen glitzerten überrascht, dann kniff er sie misstrauisch zusammen.

»Es ist sehr lange her«, sagte sie schnell. »Jugendstrafen. Fünf oder sechs Verhaftungen - ich weiß es gar nicht mehr genau. Aber seitdem war nichts mehr. Ich schwöre es bei Gott.«

Wieder änderte sich sein Gesichtsausdruck und zeigte eine Regung, von der sie gehofft hatte, sie endgültig zerstreut zu haben: Zweifel. Das machte sie fix und fertig.

»Warum hast du mir vorher nichts davon gesagt?«, fragte er streng.

»Weil ich Angst davor hatte, du könntest glauben, ich hätte mich seitdem unmöglich ändern können.« Sie bemühte sich, mit gleichmäßiger und sicherer Stimme zu sprechen, was ihr jedoch gründlich misslang. »Ich dachte, wenn ich dir sage, dass ich vorbestraft bin, weswegen auch immer, würde ich auf jeden Fall im Gefängnis landen. Aber ich bin wirklich ein anderer Mensch geworden. Auch wenn ich als Jugendliche ein paarmal wegen Laden- und Autodiebstahl geschnappt wurde, heißt das noch lange nicht, dass ich heute zu einem bewaffneten Raubüberfall fähig wäre.«

»Laden- und Autodiebstahl? War das alles?«

»Nun ja ... vielleicht auch ein bisschen Vandalismus. Und öffentlicher Alkoholkonsum. Deswegen wurde ich nur ein einziges Mal verhaftet, und ich glaube, der Polizist hätte mich sogar laufen lassen, wenn ich ihm kein Bier über die Schuhe gekippt hätte. Aber das war alles, John. Ich schwöre es.«

»Du hast einem Polizisten Bier über die Schuhe gekippt?«

»Es war Light-Bier.«

»Mein Gott, Renee!« Er schlug sich die Hände vors Gesicht und stieß langsam den Atem aus. Dann erhob er sich vom Bett. Sie griff hastig nach seinem Arm, klammerte sich verzweifelt daran fest und hoffte, dass er sie nicht allein ließ.

»Ich war ein Kind, als ich diese Dummheiten angestellt habe, John. Ein dummer, vom rechten Weg abgekommener Teenager, der sich einen Scheißdreck dafür interessierte ...«

»Nur ein dummer Teenager? Was glaubst du, woher die erwachsenen Verbrecher kommen, Renee? Sie alle haben als dumme Teenager angefangen.«

»Ich weiß, dass ich dich belogen habe. Aber ich werde es nie wieder tun. Niemals! Bitte, lass nicht zu, dass wegen dieser Sache alles von vorn anfängt!«

Er schnaufte angewidert.

»Ich muss dir noch mehr erzählen. Bitte hör mir zu.«

Er starrte auf seine Hände. Dann auf die Wand. Irgendwohin, nur nicht auf sie. Aber wenigstens verließ er nicht den Raum.

»Als ich siebzehn war«, fuhr sie fort, »wurde ich geschnappt, wie ich mit meinem Freund in einem Auto herumfuhr, das er gestohlen hatte. Der Richter verurteilte mich zu drei Monaten in der Jugendstrafanstalt, und es war schrecklich! Einfach furchtbar! Vorher hatte ich nie kapiert, was so schlimm daran sein sollte, eingesperrt zu sein. Doch dann begann ich ernsthaft über meine Zukunft nachzudenken, wie dumm ich mich benommen hatte und dass ich einiges in meinem Leben ändern sollte. Aber ich war immer noch viel zu cool, um mit irgendwem darüber reden zu können. Also erhielt ich eine besondere Einladung zu einem ›Angstprogramm‹ im Staatsgefängnis.«

Sie verstummte, weil die Erinnerung so schrecklich war, dass sie nicht einmal darüber nachdenken wollte, geschweige denn darüber reden. Aber sie musste es tun. John musste erfahren, was damals mit ihr geschehen war, sonst würde er nie verstehen, wie sie sich entwickelt hatte.

»Ich hatte es mir gar nicht so schlimm vorgestellt. Weißt du, ich habe all die Alkohol- und Drogenvorträge an der Highschool mitgemacht, wo ein ehemaliger Süchtiger seine Geschichte erzählt und einem sagt, dass man nicht tun soll, was er getan hat. Ich glaube, ich habe etwas in der Art erwartet. Ich ging mit meiner üblichen Leckt-mich-amArsch-Einstellung hin. Was sollten diese Leute mir noch erzählen können? Dann stand eine der Frauen auf und redete. Nein, eigentlich hat sie gebrüllt, wie ein Rekrutenausbilder. Ich weiß noch genau, dass mein Herz wie rasend geschlagen hat.«

Wieder musste Renee eine Pause machen, weil die Erinnerungen so lebhaft waren, dass sie kurz davor stand, in Tränen auszubrechen.

»Irgendwann musterte mich eine der Frauen von oben bis unten, mit geradezu lüsternem Blick. Sie strich mir durchs Haar und sagte, ich müsse mir keine Sorgen machen, weil ein hübsches Mädchen wie ich im Gefängnis sehr belieht sei. Es war schrecklich. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Es war, als säße ich bereits im Gefängnis und könnte jeden grausamen Augenblick spüren, der mich erwartete, wenn ich mich nicht zusammenriss. Da habe ich endlich die Entscheidung getroffen, mich zu ändern. Ich schwor mir, niemals, unter gar keinen Umständen noch einmal einen Fuß in ein Gefängnis zu setzen. Allein die Vorstellung, an einen solchen Ort zurückzukehren, macht mich völlig fertig.« Sie versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, und sprach leiser weiter. »Ich würde alles tun, um nicht ins Gefängnis zu kommen, John. Alles.«

Er sagte nichts, starrte nur geradeaus, mit angespannter und ausdrucksloser Miene. Sie wusste, dass er sich noch immer das Recht vorbehielt, jederzeit den Raum zu verlassen und die Tür hinter sich zuzuschlagen.

»Was danach kam, war die Hölle für mich«, fuhr sie fort, »aber ich habe es geschafft, mich aus dem Dreck zu ziehen. Ich bekam eine Stelle als Kellnerin bei Denny‘s. Ich musste in Polyesterschuhen rumlaufen. Und der ganze Mist. Aber nach einer Weile hatte ich bessere Jobs. Wie gesagt, am Abend, als der Überfall stattfand, war ich zur Oberkellnerin des Renaissance befördert worden. Ich hatte so lange auf diesen Job gehofft und ihn endlich bekommen. Ich war so aufgeregt. Ich dachte, mein Leben hätte sich endlich zum Guten gewendet. Und dann ...« Sie seufzte. »Und dann das. Ich bin nicht mehr die trotzige Jugendliche, die ich einmal war, John. Ich habe den Laden nicht überfallen. Nach dem, was ich im Gefängnis erlebt habe, reicht der bloße Gedanke, auch nur einen Schritt außerhalb des Gesetzes zu tun, mich in kalten Angstschweiß ausbrechen zu lassen. Das musst du einfach verstehen.«

Er sah sie an. »Ist das alles?«

Seiner monotonen Stimme war keine Regung mehr zu entnehmen. Sie hatte keine Ahnung, was er als Nächstes planen mochte. Er hatte wieder die unbewegliche Polizistenmaske aufgesetzt, und sie wusste nicht, ob er ihr glaubte, dass sie nicht mehr wie früher war.

Alles. Du musst ihm alles erzählen.

»Im Gefängnis fragte mich eine der Frauen, ob ich mich von jedem vögeln lasse. Ich sagte Nein, aber das war natürlich gelogen. Ich hatte die Rücksitze sämtlicher aufgemotzten und hochfrisierten Autos kennen gelernt, die von Jungen aus Tolosa gefahren wurden. Und plötzlich konnte ich nur noch daran denken, wie viel Glück ich während der ganzen Zeit gehabt hatte, dass ich nie schwanger geworden war, weil kein Einziger dieser Jungen sich um irgendetwas gekümmert hat.«

Und dann dachte sie daran, wie all diese Begegnungen bei ihr das Gefühl hinterlassen hatten, sofort duschen zu müssen, um sich von der Schande zu reinigen. Warum nur hatte sie es nicht so empfunden, als John sie berührt hatte?

»Was ich draußen im Wald gesagt habe, war die Wahrheit«, sagte sie. »Ich habe nicht versucht, dich zu erpressen. Auf einmal wurde mir klar, dass ich jahrelang eingesperrt sein würde, ohne Kontakt zu Männern, und ich erinnerte mich, wie du mich in der Hütte geküsst hast, und ich wollte ... dieses Gefühl noch einmal erleben, viel mehr als nur das, bevor ...«

Verzweiflung stieg in ihr hoch. »Es ist nicht so, dass ich es ein letztes Mal wollte, John, sondern ...« Sie schloss die Augen und atmete aus. »Ich wollte es zum ersten Mal erleben.«

Er sah sie überrascht an. »Aber du hast doch gesagt ...«

»Ich weiß. Ich bin keine Jungfrau mehr. Rein technisch gesehen. Aber Highschool-Sex unter dem Armaturenbrett würde ich nicht unbedingt als die Erfüllung bezeichnen.«

Seine Verblüffung ließ keinen Deut nach. »Wie alt bist du, Renee?«

»Sechsundzwanzig.«

»Das heißt, in den vergangenen acht Jahren hast du nie ...?«

»Völlig richtig.«

Er starrte sie an, und sie wusste, dass er zu begreifen versuchte, in was er da hineingeraten war - und was er für sie empfand. Seine dunklen Augen schienen unendlich tief zu sein, und unter seinem Blick hatte sie plötzlich den Eindruck, dass sie erst einen winzigen Bruchteil des Menschen gesehen hatte, der er wirklich war. Dass er ihr helfen wollte, war ein unglaublicher Glücksfall für sie. Er war ein unglaublicher Glücksfall für sie. Es ging ihr nicht darum, mit irgendeinem Mann die Hitze der Leidenschaft zu spüren, bevor sie die Kälte des Gefängnisses erleiden musste.

Es war John, den sie wollte.

»Du hast zu mir gesagt, dass du Frauen magst, die wissen, was sie wollen.« Renee sprach langsam und betonte Jedes Wort, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ich weiß, was ich will.«

»Und was willst du?«

»Dich.«

Er sah sie längere Zeit schweigend an. »Warum mich?«

»Weil ich dir vertraue.«

»Darüber solltest du vielleicht noch einmal gründlich nachdenken.«

»Warum?«

»Mein Gott, Renee! Ist dir nicht klar, dass ich kaum etwas für dich tun kann, was die Beschaffung von Beweisen betrifft? Ich kann dir nicht garantieren ...«

»Wenn ich sage, dass ich dir vertraue, meine ich nicht nur das.«

Langsam schien er zu begreifen, und als sie in seinen Augen erkannte, dass er wusste, wovon sie sprach, schämte sie sich plötzlich. Aber sie wollte jetzt keinen Rückzieher mehr machen.

»Ich weiß nicht, wie es ist, von einem Mann geliebt zu werden, John. Und ich möchte es von dir erfahren.«

»Falls du aus Dankbarkeit so empfindest...«

»Ja, es hat mit Dankbarkeit zu tun. Und mit viel mehr.«

Mehrere Sekunden vergingen. Sie hatte keine Ahnung, was ihm durch den Kopf ging, und für einen kurzen Moment bereute sie alles, was sie gesagt hatte. Doch dann ließ ganz langsam seine angespannte Abwehrhaltung nach, und das Misstrauen verschwand aus seinen Augen. Mit sehr bedächtigen Bewegungen ging er zum Nachttisch und nahm etwas in die Hand.

Den Schlüssel für die Handschellen.

»Auch wenn Sandy etwas anderes behauptet«, sagte er, »kann ich dir versichern, dass mir extreme Praktiken noch nie besonders zugesagt haben.«

Er nahm ihre Hand, schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Die Schelle sprang auf. Behutsam befreite er ihr Handgelenk, dann löste er die Handschellen vom Bettpfosten und legte sie auf den Nachttisch. Als er sie wieder ansah, erkannte sie es deutlich in seinen Augen.

Er wollte sie auch.

Es war, als hätte sich in diesem Moment schlagartig die Luft verändert. Plötzlich war sie wie elektrisch aufgeladen, die Moleküle schienen hin und her zu tanzen und trieben die beiden unaufhaltsam aufeinander zu. Vor Erregung konnte sie kaum atmen. Zum ersten Mal konnte sie ihn völlig frei ansehen, sein attraktives Gesicht bewundern, ohne befürchten zu müssen, dass er ihren Blick tadelnd oder vorwurfsvoll erwiderte. Sie konzentrierte sich auf den blauen Fleck, der noch immer sein Auge zierte, und erinnerte sich daran, wie bereitwillig er ihr zu Hilfe gekommen war, als Leandro sie mitnehmen wollte. Sie berührte sein Gesicht.

»Ich wollte nicht, dass du meinetwegen Schmerzen erdulden musst«, flüsterte sie. »Es tut mir so Leid.«

»Es wird wieder verheilen.«

Er beugte sich über sie, mit langsamen und behutsamen Bewegungen, und als sie erkannte, dass er sie küssen wollte, stockte ihr buchstäblich der Atem. Als endlich seine Lippen die ihren trafen, geschah es so sanft, dass sie sich gar nicht sicher war, ob sie sich wirklich berührten. Dann zog er sich einen Millimeter zurück und wartete einen entsetzlich langen Moment ab, bis er sie wieder küsste. Der unglaublich sanfte Kuss war nur ein winziger Hauch dessen, was sie wirklich begehrte. Sie wartete darauf, dass er sie tief und fest küsste, wie er es im Wald getan hatte, aber er tat es nicht. Er ließ seine Hand über ihren Arm gleiten, mit elektrisierender Langsamkeit, so zärtlich, dass sie seine Berührung kaum spürte, und doch machte es sie wahnsinnig. Er küsste sie immer noch, immer wieder. Jede Berührung seiner Lippen und Hände war so unglaublich langsam und unerträglich erotisch. Eigentlich hätte es sie beruhigen und entspannen müssen. Aber sie wurde immer erregter, ihr ganzer Körper glühte, und sämtliche Nerven vibrierten vor Erwartung.

Dann richtete er sich wieder auf, und sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht am Hemdkragen zu packen und aufs Bett zu zerren. Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht über ihre Kehle zu ihren Brüsten und zurück.

»Zieh das Sweatshirt aus.«

Er sagte es nicht fordernd. Sondern voller Begehren. Und der bloße Klang seiner Stimme jagte einen erregten Schauder durch ihren ganzen Körper. Sie wollte es. Und wie sie es wollte! Warum saß sie also immer noch reglos da?

Er beobachtete sie aufmerksam und wartete darauf, dass sie tat, worum er sie gebeten hatte, dass sie ihr Sweatshirt auszog, um eine Intimität einzuleiten, wie sie sie nie zuvor mit einem Mann erlebt hatte. Aber sie erinnerte sich viel zu genau daran, wie sich die Sache im Wald entwickelt hatte, als sie ihn genauso sehr begehrt und er sie zutiefst gedemütigt hatte. Diesmal würde er es nicht tun, das stand für sie fest. Aber sie konnte die Erinnerung trotzdem nicht verdrängen.

Sie schluckte. »Du zuerst.«

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem feinen Lächeln. »Du möchtest einen Vertrauensbeweis?«

»Versteh mich nicht falsch, John. Es ist nur so, dass ...«

»... dass alles, was bisher zwischen uns geschehen ist, nur ein Spiel war. Und jetzt möchtest du dich vergewissern, dass es nicht wieder nur ein Spiel ist.«

Sie wandte den Blick ab und kam sich auf einmal so durchschaut vor. Woher wusste er so genau, wie sie empfand? Dachte auch er daran, dass sie ihm gesagt hatte, sie würde ihm vertrauen, obwohl ihr jetziges Verhalten eher auf das Gegenteil hinwies?

Er legte die Finger an ihr Kinn und drängte sie, ihn wieder anzusehen. »Ich verstehe«, flüsterte er. Dann stand er vom Bett auf und griff gleichzeitig nach den obersten Knöpfen seines Hemds. Zentimeter um Zentimeter öffnete er es, bis er schließlich den Hemdsaum aus der Jeans zerrte, die Manschetten aufknöpfte und es vollständig auszog. Sie betrachtete seinen schlanken Brustkorb, dessen Muskeln sich deutlich bei jeder Bewegung spannten. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn in der Hütte angestarrt hatte, als er halbnackt vom Duschen zurückgekommen war. Er hatte es bemerkt, und sie hatte sich zutiefst dafür geschämt. Jetzt konnte sie ihn anschauen, so lange sie wollte, und sie kostete diese Gelegenheit ausgiebig aus. Hinreißend! Das war das erste Wort, das ihr in den Sinn kam, wenn sie ihn betrachtete, gleich danach stark und sexy und ein Dutzend weiterer Adjektive mit ähnlicher Bedeutung.

Er warf sein Hemd zu Boden. »Okay, Schätzchen. Jetzt bist du dran.«

Jetzt oder nie, lautete die Devise. Doch trotz ihrer Ängste kam ein nie jetzt nicht mehr in Frage.

Sie holte tief Luft, dann griff sie nach dem Saum ihres Sweatshirts und zog es sich über den Kopf. Ihr langes blondes Haar glitt mit leichtem Knistern durch den Kragen. Sie drückte das Sweatshirt einen Moment lang an sich, dann warf sie es aufs Bett, lehnte sich gegen das Kissen und versuchte verzweifelt, sich zu beruhigen. Ihre Wangen glühten so heiß, dass sie befürchtete, ihre Haare könnten Feuer fangen.

Es war nicht das erste Mal, dass er sie im BH sah - oder mit völlig entblößten Brüsten. Aber jetzt befanden sie sich nicht inmitten eines heißen, wilden und besinnungslosen Sturms, in dem alles so schnell gegangen war, dass sie gar nicht mehr darüber hatte nachdenken können. Jetzt geschah es langsam und sinnlich. Seine Augen tasteten jeden Quadratzentimeter ihrer Haut ab. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so nackt gefühlt, obwohl sie gar nicht nackt war.

Noch nicht.

»Du bist dran«, sagte sie. Das Sprechen fiel ihr unglaublich schwer, weil sie genau wusste, was als Nächstes kommen würde.

Er griff nach seinem Gürtel und öffnete ihn. Sie sah seinen geschickten Fingern zu, und ihr Pulsschlag raste wie verrückt. Nun zog er den Gürtel durch die Schlaufen, ganz langsam - so langsam, dass entweder ihre Zeitwahrnehmung verzerrt war und ihr jede Sekunde wie eine Stunde vorkam oder er es absichtlich hinauszögerte, um ihr Verlangen anzustacheln. Damit sie nur noch ihn wollte.

Jedenfalls funktionierte es.

Schließlich ließ er den Gürtel fallen. Sie wartete gespannt ab, was als Nächstes kam, aber er stand nur reglos da.

»Du bist dran«, sagte er.

Sie blinzelte überrascht. Streng genommen konnte man den Gürtel als ausgezogenes Kleidungsstück gelten lassen, aber irgendwie war es trotzdem unfair, weil sie nun vor einem kritischen Punkt stand.

Sie legte die Finger an den Knopf ihrer Jeans, aber dann überlegte sie es sich anders und griff nach dem Verschluss ihres BHs. Johns Blick folgte ihren Händen und registrierte selbst die winzigste Bewegung. Er atmete schneller und seine dunklen Augen verrieten, dass Geduld nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte. Sie schwankte eine Weile zwischen den beiden Möglichkeiten, da sie anschließend in jedem Fall fast nackt und schutzlos wäre.

Mit einem Mal erinnerte sie sich an die Jungen, mit denen sie Sex gehabt hatte, die völlig versessen darauf gewesen waren, dass sie ihren Rock hochschob und das Höschen herunterzog, und die alles gesagt und getan hätten, um ihr Ziel zu erreichen. Dann hatte das hektische Stoßen, Schnaufen und Schwitzen begonnen, und sie hatte sich innerlich völlig leer gefüllt, weil sie für die Jungen kaum mehr als eine aufblasbare Puppe gewesen war. Und wenn es vorbei war, war es vorbei. Okay, die netteren Jungen hatten ihr anschließend vielleicht eine Zigarette angeboten oder sie sogar nach Hause gefahren, aber das war auch schon alles gewesen. Renee verspürte eine tiefe Scham, als sie sich erinnerte, wie billig sie sich verkauft hatte, nur für ein paar Minuten, in denen etwas herrschte, das vage an menschliche Nähe erinnerte. Nur dass sie sich danach leerer und einsamer als je zuvor gefühlt hatte.

Sie schwor sich, dass sie so etwas nie wieder erleben wollte.

Ihre Hand tastete über das Bett, fand das Sweatshirt, zog es heran, und sie bedeckte sich wieder damit. »Es tut mir Leid, John. Ich wollte es wirklich. Ich dachte, ich könnte es, aber es geht nicht. Bitte sei nicht böse auf mich. Bitte.«

Er setzte sich neben sie aufs Bett und strich beruhigend mit einer Hand über ihren Schenkel. »Wie kommst du auf die Idee, dass ich böse auf dich sein könnte?«

Sie wandte den Blick ab. »Als wir in der Hütte waren und ich Nein sagte ...«

Sie verstummte. Als sie es schließlich wagte, ihn wieder anzusehen, schüttelte er den Kopf. »Schätzchen, seit jener Nacht in der Hütte ist zwischen uns beiden eine Menge geschehen.«

Er griff nach dem Sweatshirt, entzog es behutsam ihren Händen und warf es zu Boden. Sie verschränkte sofort die Arme vor der Brust und staunte, dass sie ihn gleichzeitig so sehr begehren und so große Angst vor ihm haben konnte.

»Du zitterst«, flüsterte er.

»Ja.«

»Kalt?«

»Angst.«

Seine Fingerspitzen streiften ihre Wange. »Du musst keine Angst haben.«

»Hast du ... Schutz dabei?«

»Ja«, sagte er. »Mach dir bewusst, dass wir beide keine Teenager mehr sind.«

Das traf zumindest auf ihn zu. Er war ein ganzer Mann. Aber was die sexuelle Erfahrung betraf, war sie im Alter von achtzehn Jahren stehen geblieben.

»Ich ... ich bin wahrscheinlich nicht besonders gut darin.«

Er lächelte. »Schätzchen, darin kannst du unmöglich schlecht sein.«

Er hakte einen Finger unter den Träger ihres BHs und zog ihn über die Schulter herunter. Er küsste die Stelle, die er freigelegt hatte und fuhr gleichzeitig mit einer Fingerspitze über die Rundung ihrer Brust.

»Zieh deinen BH für mich aus«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich will dich sehen.«

Er lehnte sich zurück und schaute sie an. Er hätte es selbst tun können, aber seit ihrem Zusammenstoß im Wald hatte sich etwas verändert. Er nahm sich nicht wild und rücksichtslos von ihr, was er wollte. Stattdessen bat er sie darum, es ihm zu geben.

Wieder legte sie die Hände an den Verschluss ihres BHs, während sein Blick jede ihrer Bewegungen verfolgte. Sie hakte ihn auf, hielt kurz inne, dann zog sie ihn ganz aus und ließ ihn zu Boden fallen. Sie lehnte sich gegen das Kissen vor dem Kopfende des Betts. Sie spürte, wie die kühle Luft des Schlafzimmers über ihre nackten Brüste strich und musste gegen den Drang ankämpfen, die Arme auf den Oberkörper zu legen, um sich vor seinen Blicken zu schützen.

Warum fiel es ihr so schwer? Weil sie sechsundzwanzig Jahre alt war und praktisch keine Ahnung vom Sex hatte? Oder weil sie Angst hatte, einen Mann zu enttäuschen, den sie glücklich machen wollte?

Er legte die Hände auf die Rippen unter ihren Brüsten und blickte sie mit Augen an, die wie schwarze Diamanten schimmerten. Einen Moment lang fühlte sie sich wieder befangen, aber dann beugte er sich vor, um sie zu küssen. Er drängte ihre Lippen auseinander und strich mit seiner Zunge über ihre. Sie hatte das Gefühl, unter seiner Hitze zu schmelzen. Gleichzeitig fuhren seine Finger um ihre Brüste, streichelten sie, reizten ihre Brustwarzen und versetzten ihr einen Stromstoß nach dem anderen. Natürlich hatten auch die Jungen ihre Brüste berührt, aber noch nie zuvor auf diese Weise, und als er den Kopf senkte, um mit der Zunge ihre Brustwarzen zu umkreisen, war das Lustgefühl so überwältigend, dass sie glaubte, daran sterben zu müssen.

Er küsste sie wieder, und seine Hände ruhten sich keinen Moment aus. Er fand erogene Zonen, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie existierten. Sie stöhnte leise und hielt sich an seinen Schultern fest, aber je länger sie die Berührungen seiner Hände und seiner Lippen genoss, desto deutlicher spürte sie ein hartes, drängendes Pulsieren zwischen ihren Beinen, bis sie es nicht mehr ignorieren konnte.

»John ...«, sagte sie leise und wand sich unter ihm, während sich ihre Finger in seine Schultern krallten. Sie wusste nicht, wie sie es in Worte fassen sollte, aber er schien sie trotzdem zu verstehen. Seine Hand wanderte über ihren Bauch zum Bund ihrer Jeans. Er öffnete den Knopf und zog den Reißverschluss auf. Er versuchte die Hose herunterzuziehen, aber sie ließ sich keinen Zentimeter bewegen.

»Ich schwöre bei Gott, dass ich mich nie wieder um deine Wäsche kümmern werde«, murmelte er.

»Nur mit kaltem Wasser«, hauchte sie. »Und an der Luft trocknen.«

»Ich werde es mir merken.«

Er nahm ihre Hand und half ihr aufzustehen. Obwohl die Jeans wie angeklebt auf ihren Hüften saß, obwohl es bedeutete, dass sie anschließend nur noch mit einem Fetzen aus rosafarbenem Satin bekleidet vor ihm stand, gelang es ihr, sich hinauszuwinden. Er schob die Hose mit dem Fuß beiseite, dann nahm er sie in die Arme. Seine starken Hände strichen über ihren Rücken, und als seine Lippen wieder ihre berührten, glitt er mit den Händen unter ihren Slip und umfasste ihre Pobacken. Sie keuchte leicht, als er sie drückte und knetete und sie näher heranzog, so nahe, dass sie am Bauch seine Erektion spürte, die hart gegen den Stoff seiner Jeans drückte.

Dann setzte er sich aufs Bett und zog sie mit sich. Er lehnte sich gegen das Kopfende, und bevor sie wusste, was geschah, hatte er sie herumgedreht, so dass sie mit dem Rücken zu ihm zwischen seinen Beinen saß. Im ersten Moment fühlte sie sich etwas unwohl, aber dann küsste er sie im Nacken und ließ wonnige Schauder über ihren Rücken laufen. Seine Hände umfassten sie und berührten ihre Brüste, rieben sie, bis die Brustwarzen noch heißer und härter geworden waren.

Er legte eine Hand auf ihren Bauch und drängte mit dem nackten Fuß ihre Wade zur Seite, so dass sich ihre Schenkel öffneten. Langsam schob er die andere Hand tiefer, drückte gegen ihren Slip und fand schließlich den empfindsamen Punkt zwischen ihren Beinen. Seine Berührung war so unerwartet und so intim, dass sie aufkeuchte und sich ihm zu entziehen versuchte. Doch es gelang ihr nicht, da er mit der anderen Hand ihren Unterleib festhielt.

»Entspann dich, Schätzchen«, flüsterte er, und sie spürte seinen warmen Atem am Ohr. »Vertrau mir.«

Er begann sie zu streicheln, aber seine Berührung war so intensiv, so eindringlich, so ungeniert, dass sie kurz davor stand, ihn zu bitten, damit aufzuhören. Aber sie ließ es geschehen, und nach kurzer Zeit verspürte sie ein feines lustvolles Wirbeln. Es entflammte zaghaft, doch plötzlich vergaß sie jegliche Einwände, die sie hätte vorbringen können. Sie lehnte sich entspannt gegen seine Brust, ließ sich von ihm halten und so berühren, wie er es wollte, während sein heißer Atem an ihrem Hals entlangstrich. Bald wurde das Lustgefühl stärker, und dann drängte es sie, ihre Hüften im Rhythmus seines Streicheins zu bewegen. Sie wollte - nein, sie gierte danach, dass er fester und schneller rieb ...

Dann hörte er plötzlich auf. Bevor sie protestierend aufschreien konnte, schob er eine Hand unter ihren Slip und drang mit den Fingern in ihren feuchten Spalt ein. Sie erstarrte und schnappte vor Überraschung nach Luft, aber er hielt sie weiter fest und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Schließlich streichelte er sie wieder. Es dauerte nicht lange, bis ihre Hüften seine Bewegungen begleiteten und sie verzweifelt nach dem strebte, von dem sie glaubte, dass es kommen musste, wenn sie sich völlig hingab.

Wenn sie sich ihm hingab.

Sie konnte kaum noch atmen und griff nach seiner Hand, die auf ihrem Bauch lag. Als die Flamme in ihr immer heller loderte, bewegte sie sich schneller und drückte sich immer fester gegen ihn ... begierig auf ...

»John ... bitte ...«

Mehr konnte sie nicht sagen. Sie war nur noch in der Lage, aus der Tiefe ihrer Kehle zu stöhnen. Es war ein erstickter, begieriger Laut, der ihn veranlasste, sie fester zu halten, den Druck zu verstärken, den Rhythmus zu steigern, bis sie glaubte, im nächsten Moment die Besinnung zu verlieren.

»Ich weiß, Schätzchen«, flüsterte er mit tiefer und heiserer Stimme. »Lass los. Komm für mich.«

Als er diese Worte aussprach, stieg etwas in ihr hoch und stürzte dann zusammen. Es explodierte mit der strahlenden Helligkeit von tausend Sternen. Sie hielt seine Hand und ließ den Kopf gegen seine Schulter fallen, während ihr Körper von den Wellen der Lust erschüttert wurde.

»Ja«, raunte er und hielt sie in den Armen, als sie immer weiter davongewirbelt wurde. »Ja.«

Die Empfindungen durchdrangen sie in einem wiiden, sinnlichen Rhythmus, der ganz langsam verebbte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das letzte Erzittern nachließ und sie wieder atmen konnte. Aber sie klammerte sich immer noch an ihn. Sie fühlte sich so warm und sicher, dass sie ihn nie wieder loslassen wollte. Dieses Erlebnis war ganz anders gewesen, so etwas war noch nie zuvor mit ihr geschehen. Und es war mit John geschehen, gegen den sie zwei Tage lang Krieg geführt hatte, weil sie in eine Situation hineingeraten waren, die sich keiner von ihnen gewünscht hatte. Und nun erkannte sie, dass er der einzige Mann auf der ganzen Welt war, dem sie ihr Leben anvertrauen würde.

John schlang die Arme fest um Renee und erlebte einen Ansturm von Gefühlen, für die er keine Namen hatte, die aber so stark waren, dass er beinahe das Bewusstsein verlor. Bis jetzt hatte sie ihm nur demonstriert, wie zäh sie sein konnte. Sie war Leandro entkommen, hatte während des Marschs durch den Wald mit ihm gestritten und mühelos das Mittagessen mit seiner Familie überstanden. Doch jetzt war überhaupt nichts Zähes mehr an ihr. Sie war eine zarte, sanfte, verletzliche Frau, die gerade in seinen Armen geschmolzen war, die sich so vertrauensvoll an ihn klammerte, dass er sie für immer festhalten und beschützen wollte.

Dann drehte sie sich in seinen Armen um und erwiderte seinen Blick, und als er in ihre wunderschönen blauen Augen schaute, die vor Leidenschaft schimmerten, konnte er es kaum noch aushalten. Sie wandte sich ihm ganz zu, legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Er erwiderte den Kuss mit ganzer Leidenschaft. Er hätte gedacht, dass sie jetzt all ihre Kraft verbraucht hatte, aber sie stöhnte leise an seinen Lippen und presste sich gegen ihn, als hätte sie noch lange nicht genug. Auch wenn sie angeblich keine große sexuelle Erfahrung hatte, konnte er nicht abstreiten, dass alles, was sie tat, ihn dazu animierte, sie um so stärker zu begehren. Konnte er sich mehr wünschen?

»Ich muss endlich meine Jeans loswerden«, flüsterte er heiser. Sie erhob sich von seinem Schoß. Er hockte sich auf die Bettkante, doch bevor er aufstehen konnte, drückte sie ihn sanft zurück. In wenigen Sekunden hatte sie die Jeans geöffnet und zog sie zusammen mit seiner Unterwäsche über die Schenkel hinunter. Als sie seine Knie erreicht hatte, blickte sie auf und hielt inne.

»Mein Gott«, sagte sie mit erstickter Stimme.

»Hör jetzt nicht auf, Schätzchen.«

Sie zog ihm die Jeans ganz aus und sah das, was darunter zum Vorschein gekommen war, vor Ehrfurcht an. Auch in dieser Hinsicht hätte er sich nicht mehr wünschen können.

Sie stand da und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an, und sie war sich nicht ganz sicher, was sie als Nächstes tun sollte. Er reichte ihr eine Hand und forderte sie wortlos auf, sich wieder aufs Bett zu setzen. Dann öffnete er eine Schublade des Nachttischs und suchte darin. Schließlich fand er eine der kleinen Plastikverpackungen, riss sie auf und zog sich das Präservativ über. Erstaunt stellte er fest, dass ihm dabei die Hände zitterten. Während seines erwachsenen Lebens hatte ihn die Aussicht auf Sex noch nie so sehr aus dem Konzept gebracht.

Immer mit der Ruhe, sagte er sich. Sie wünscht sich einen Mann, keinen kleinen Jungen. Einen Mann, der sich zu beherrschen weiß.

Er konnte nur hoffen, dass er ihren Erwartungen gerecht wurde.

Es drängte ihn, sich auf sie zu werfen und tief in sie einzudringen, aber er wusste, dass so etwas nicht in Frage kam. Das hatte sie vor Jahren häufig genug erlebt, als sie sich von jedem geilen Jungen benutzen ließ, der es geschafft hatte, sie zu überreden, das Höschen auszuziehen. Sie würde es ihm nie verzeihen, wenn er sich genauso verhielt. Er musste es langsam angehen, auch wenn er es kaum noch aushielt.

Als er sich wieder umdrehte, stellte er überrascht fest, dass sie auf dem Bett lag, einen Arm hinter dem Kopf, und ihn ansah. Sie hatte ihr Höschen ausgezogen. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er sie völlig nackt sah. Dann winkelte sie ein Bein an und strich aufreizend mit der Hand über die Innenseite eines Schenkels. Sein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet.

»John«, flüsterte sie. »Mach schnell.«

Gott sei Dank!

Als er aufs Bett stieg, hatte sie beide Beine gespreizt und streckte ihm die Arme entgegen. Er beugte sich über sie und drang in sie ein.

Dann erstarrte er und biss die Zähne zusammen, weil das Gefühl, in ihr zu sein, so intensiv war, dass er befürchtete, sich nicht mehr beherrschen zu können. Aber sie ließ nicht zu, dass er zur Ruhe kam, nicht einen Augenblick lang. Sie zog sein Gesicht heran und küsste ihn leidenschaftlich. Dann schlang sie die Beine um ihn und hob das Becken an, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen. Er versuchte sich trotz ihres Drängens langsam zu bewegen, damit es länger dauerte, als er mit achtzehn Jahren durchgehalten hatte, aber sie war so erhitzt und eng, dass er keine Chance hatte.

Ihre Hände strichen über seinen Rücken, und sie flüsterte seinen Namen, immer drängender, und er stieß härter und fester zu, während sein Körper pulsierte und nach Erlösung strebte. Er hatte sich so große Sorgen gemacht, zu schnell zu sein, aber sie passte sich völlig seinem Rhythmus an. Jegliche Schüchternheit oder Angst, die sie zuvor an den Tag gelegt hatte, war jetzt nur noch eine ferne Erinnerung.

»John!«, rief sie. »O Gott...!«

Er hielt inne, weil er glaubte, ihr wehgetan zu haben. »Renee?«

»Nein!«, sagte sie. »Hör nicht auf! Hör nicht auf!«

Sie presste seine Hüften gegen ihre und bäumte sich unter ihm auf, und als er wieder tief in sie hineinstieß, erkannte er fassungslos, dass sie genauso wie er kurz vor dem Orgasmus stand. Für ihn war es unglaublich erregend, zu wissen, dass er sie ein zweites Mal zum Höhepunkt bringen würde. Jetzt war es ihm einfach unmöglich, sich länger zurückzuhalten. Nur noch einen winzigen Moment ... nur noch lange genug, um ...

Dann schrie sie wieder seinen Namen und umschlang ihn noch fester. Er wusste, dass sie kam, er spürte, dass sie kam, und das genügte, ihn ebenfalls zum Orgasmus zu bringen. Er erschauderte, als Wellen glühender Energie durch ihn jagten. Mehrere Sekunden lang klammerten sie sich aneinander, atmeten keuchend und genossen gemeinsam, wie das Beben der Lust verebbte.

Langsam wich die heftige Leidenschaft einem entspannten Glücksgefühl. John drehte sich auf die Seite und zog Renee in seine Arme. Sie legte den Kopf auf seine Schulter, und ihr warmer Atem strich kitzelnd über seine Brust. Er hielt sie lange Zeit fest, so fest, dass sie kaum genügend Luft bekam. Sie klammerte sich genauso beharrlich an ihn, als wäre das Atmen längst nicht so wichtig wie ein möglichst enger Kontakt zu ihm.

John konnte immer noch nicht fassen, was er in diesem Moment empfand. Es war, als müsste er sterben, wenn er sie je wieder losließ. Bei allen anderen Frauen hatte er bereits nach der ersten Berührung begonnen, Fluchtpläne zu schmieden. Warum war es mit Renee völlig anders? Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er mehr von einer Frau. Welche Ironie, das sie wahrscheinlich die einzige Frau war, die ihm keine Zukunft zu bieten hatte.

Als sie erstmals ihre Vorstrafen erwähnt hatte, waren ihm große Zweifel an ihrer Unschuld gekommen. Aber was sie über die Jugendstrafanstalt und das »Angstprogramm« erzählt hatte, klang glaubwürdig. Solche Maßnahmen waren bei manchen Jugendlichen sehr erfolgreich, und offenbar hatten sie bei Renee funktioniert. Sie war so sehr eingeschüchtert worden, dass sie unmöglich den Raubüberfall begangen haben konnte. Davon war er überzeugt.

War ihre Angst groß genug, dass sie immer noch an Flucht dachte?

Im gleichen Moment, als ihm dieser Gedanke kam, durchfuhr es ihn wie bei einem schmerzhaften Stich. Nein. Das würde sie bestimmt nicht tun. Nicht nach dem, was sie soeben gemeinsam erlebt hatten. Jetzt würde sie darauf vertrauen, dass er ihr half.

Aber was war, wenn er ihr nicht helfen konnte? Wenn ihr bewusst wurde, dass die Chancen, genügend Beweise zu sammeln, ziemlich klein waren? Was war dann?

Allein die Vorstellung, an einen solchen Ort zurückzukehren, macht mich völlig fertig, hatte sie zu ihm gesagt, mit schreckgeweiteten Augen, als hätte sie in der Erinnerung noch einmal jeden Moment dieser furchtbaren Erfahrung durchlebt. Ich würde alles tun, um nicht ins Gefängnis zu kommen, John. Alles.

Eine böse Vorahnung überkam ihn. Wenn er jetzt die Augen schloss und einschlief, würde er sie dann vielleicht nie wiedersehen? Wäre er allein in seinem Bett, wenn er wieder aufwachte?

Das durfte er nicht zulassen. Ganz gleich, was er dafür tun musste, aber das durfte er nicht zulassen.